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ten_siethoff_-_kollegiumsbildung.pdf
KOLLEGIUMSBILDUNG Immer wieder taucht i n unseren Gesprächen über die Zukunft von La Branche die Frage auf: “Was i s t ein Kollegium und wie soll es funktionieren?” Ich möchte aus meinen Erfahrungen ein paar Gedanken entwickeln, die uns veranlassen können, weiter darüber zu sprechen. Ich werde absichtlich nicht hinstellen, was Dr. Steiner etwa dazu gesagt haben könnte, weil i c h hoffe, dass wir zu eigenen Urteilen darüber kommen werden. I n diesem Sinne sind diese Zeilen auch nur als Denkanstoss zu sehen und nicht als letzte Wahrheiten. Wenn man die Erscheinungen unserer Zeit r i c h t i g anschaut, so kann man an ihnen ablesen, dass wir als individuelle Menschen vermehrt lernen müssen, zu selbständigen Urteilen zu gelangen, zu solchen Urteilen, die nicht direkt aus der Umwelt oder aus der Tradition übernommen sein sollten. Unsere Welt wird so kompliziert, dass es nicht mehr möglich i s t , f ü r jede Lebenssituation eine Regel aufzustellen. Wir können zwar Grundlinien oder Prinzipien haben; diese müssen aber i n jeder Situation jeweils neu interpretiert werden und dies ruft nach dieser Fähigkeit, selbständig urteilen zu können. In der Vergangenheit, wo die Welt noch v i e l statischer war als heute, konnten solche Lebensregeln aufgestellt werden, die den Menschen f ü r jede Lebenssituation bestimmte Richtlinien gaben. Wir erleben auch, dass die traditionellen Führungsstrukturen heute nicht mehr funktionieren. So wie das a l t e Testament abgelöst wurde von dem neuen Testament, so müssen auch alte Führungsstrukturen von neuen abgelöst werden. Die ganze Welt sucht danach. Aber es i s t eben schwierig, Formen zu entwickeln, die noch nicht dagewesen sind. Die Menschen, die sich bemühen zur anthroposophischen Geisteswissenschaft Rudolf Steiners einen Zugang zu fi nden, haben i n der Welt die Möglichkeit, solche neue Führungsstrukturen zu bilden, welche wirklich Zukünftiges und Fruchtbares i n sich tragen. Eine solche neue Führungsstruktur i s t eben das “Kollegium”. Aus meiner Erfahrung möchte ich behaupten, dass es nicht so etwas wie ein Standardmodell eines Kollegiums g i b t . Ich habe viele Formen kennengelernt. - 2 Trotzdem gibt es bestimmte Grundprinzipien, die f ü r so eine Kollegiumsbildung einer anthroposophisch orientierten Gemeinschaft wichtig sind. Ich möchte versuchen, diese folgendermassen darzustellen: “Ein Kollegium i s t eine Gruppe von Menschen, die aus einer Gesamtverantwortung dem Wesen Anthroposophia gegenüber sich zusammengefunden und verbunden haben, um eine praktische Erdenaufgabe zu erfüllen. Sie tun dies so, dass: - sie gemeinsam eine s p i r i t u e l l e Arbei t leisten, damit auch eine gemeinsame spirituelle Grundlage gefunden werden kann, - gemeinsam das soziale Verständnis üben und auch - den Willen üben, gemeinsam das gegenseitige Schicksal mitzutragen.” Zur spirituellen Arbei t : Da kenne ich sehr unterschiedliche Formen. Manchmal wird am Anfang jeder Kollegiumssitzung ein Text von Rudolf Steiner gelesen; andere Kollegien sprechen einen Spruch, wieder andere praktizieren eine gemeinsame Meditation. Auch i s t es möglich, sich am Anfang oder am Ende f r e i auszusprechen über dasjenige, was man gerade erlebt, erlebt hat oder hoff t zu erleben. Man s i t z t im Kreise oder man steht, g i b t sich die Hand oder auch nicht. Vieles i s t möglich. Jedes Kollegium wird seine eigene Form fi nden. Zum sozialen Verständnis: Geübt soll das Zuhören, das Verstehen einer anderen Denkströmung werden. Dies bedeutet, dass man sich ausspricht, wenn man einen anderen nicht versteht, Fragen s t e l l t , s t a t t einfach nicht zu reagieren und den Beitrag unter den Tisch fallen zu lassen. Auch kann geübt werden sich auszusprechen über die Ar t und Weise wie man sich gegenseitig erlebt. Ferner kann gewagt werden, den anderen zu spiegeln, damit dieser l e r n t , wahrzunehmen, wie er wirkt. Das Ueben der Rückschau regelmässig am Ende der Sitzungen i s t dabei eine grosse Hilfe. Zum Schicksal mittragen: Ich erlebe immer wieder, dass es dabei darum geht, die Unannehmlichkeiten, die man durch den anderen empfindet, verdauen zu lernen, dabei selber zu versuchen, so an seinen Schwächen zu arbeiten, dass sie den anderen am wenigsten stören und den Mut haben, dem anderen zu helfen, seine Schwächen zu überwinden. 3 Ein noch nicht genannter Aspekt i s t derjenige der Zeit. Wie lange s o l l man als individueller Mensch, der i n der Entwicklung steht, i n einem Kollegium verbleiben? Nach meiner Erfahrung hängt die Beantwortung dieser Frage von verschiedenen Faktoren ab, wie z.B. von den Fragen - wie lange man sich mit der bestimmten Aufgabe eines Kollegiums verbinden w i l l , - wie lange es dauert, bis man die Konsequenzen seiner Entscheidungen ausbaden muss, - wie sich die soziale Konstellation entwickelt und welchen Einfl uss dies auf die Qualität der Zusammenarbeit hat. Einerseits i s t es wichtig, dass genügend Zeit i n Anschlag gebracht wird, damit sich Substanz entwickeln kann. Anderseits s o l l , nach meiner Meinung nach, ein Kollegium auch nicht zu lange i n der gleichen Konstellation zusammenbleiben. Zu starke Gewohnheitsbildung wird dadurch verhindert. Oft erlebte ich Schwierigkeiten, wenn Menschen sowohl an sich selbst als auch an andere zu hohe Ansprüche stellten i n der Zusammenarbeit und dadurch dann enttäuscht wurden, was wiederum zu Spannungen führte. Ich kam deshalb auf folgende “Faustregel”: “DAS UNMOEGLICHE VERLANGEN, DAS MOEGLICHE TUN, UND DAS UNZULAENGLICHE AKZEPTIEREN KOENNEN”. Wenn wir berücksichtigen, dass es bei der Kollegiumsbildung auch um das Entwickeln der Urteilsfähigkeit geht, müssen wir uns die Gesetzmässigkeiten der Urteilsbildung ins Bewusstsein heben. Das Urteil wird einerseits beeinfl usst vom Wahrnehmen und Vorstellen, anderseits von a l l dem, was aus unserem Willensleben kommt, dazu gehört auch das Triebhafte. Deshalb hängt ein richtiges Urt e i l ab von einer richtigen Wahrnehmung, von saubeen Vorstellungen und von dem Mass an Bewusstsein, das ich imstande bin zu haben von eben diesem Willensleben. I n einem Kollegium, wie es hier verstanden wird, g i b t es die schöne Möglichkeit, sich gegenseitig zu helfen bei der Objektivierung der Wahrnehmungen und Vorstellungen einerseits und beim Vorgang, d u r h den man sich gegenseitig die Impulse, die aus dem Willen kommen, bewusst macht anderseits. 4 Ausserdem i s t wichtig, dass die Gesetzmässigkeiten des Prozesses ins Bewusstsein gehoben werden, welche zu einem Urteil und dann zu einer Entscheidung führen. Wir können dann beobachten, wie i n diesem Prozess die ganze Erdenentwicklung sich wiederholt. Wie jedes Gespräch mit der Saturnwärme anfangen muss. Wenn jeder Teilnehmer nicht schon am Anfang des Gespräches den Willen hat, bis zum Ende durchzuhalten, kommt nichts zustande. Im zweiten Schritt können wir die Wiederholung der Vorgänge auf der alten Sonne sehen. Licht und Dunkel müssen sichtbar werden. Jeder Teilnehmer muss einmal an die Reihe kommen können. Jeder muss die Möglichkeit haben, SEINEN Beitrag zum Gespräch zu leisten, indem er seine Ansichten, Meinungen und sonstigen Informationen zur Verfügung s t e l l t , aber ohne dass diese schon gewertet werden. Das allerwichtigste i n dieser Phase des Gesprächs i s t , dass die Urteile zurückgehalten werden. Die Urteilsbildung, die darauf f o l g t , i s t eine Wiederholung des alten Mondes. Da t r i t t auch die Sündenfall-Problematik auf, denn um zu einem richtigen Urteil zu kommen, muss jeder Mensch i n seinem Innern sich mit seinem eigenen Egoismus auseinandersetzen. Die Fragen, die man sich bei diesem Vorgang stellen kann, sind: - was muss unbedingt geschehen? - was darf unbedingt nicht geschehen? - was i s t Oberhaupt nur möglich? - was wäre schön, wenn es auch noch geschehen würde? - was sind meine persönlichen Bedürfnisse und wie ehrlich bin ich? - wo spielen bei mir Sympathie und Antipathie hinein? - warum nehme ich eigentlich an diesem Gespräch t e i l ? Wenn diese Fragen einigermassen ehrlich beantwortet worden sind - jeder sollte sich diese Fragen stellen - dann darf das Urteil ausgesprochen werden. Oft muss man drei Nächte darüber schlafen, manchmal muss sogar ein Urteil 7 Jahre mitgetragen werden oder sogar noch länger, bevor es wirklich ausgereift i s t . - 5 Zum Schluss kommt die Entscheidung. Da sind wir auf der Erde. Das Urteil muss sich inkarnieren. Aber das Mysterium von Golgatha muss sich auch wiederholen, und zwar i n jedem einzelnen Menschen. Dies bedeutet, dass jeder f ü r sich, um wirklich echt JA sagen zu können zu einer Entscheidung im kleinen einen Leidensweg zu gehen auf sich nehmen muss. Er muss etwas opfern, damit die Entscheidung Wirklichkeit werden kann. Tr i f f t man nur f ü r sich als individueller Mensch eine Entscheidung, dann i s t dies o f t weniger schwierig. Als Kollegium eine Entscheidung zu t r e ffen und sich daran zu halten hingegen, i s t gar nicht so einfach, wie der Entscheid in einer persönlichen Sache. Dies fordert ganz andere Kräfte und ganz andere Anstrengungen. Als letztes Element möchte ich noch dasjenige des Uebens womit man sich auf das Leben nach dem Tode vorbereitet nennen. Denn auch die Elemente, die mit dem nachtodlichen Dasein zu tun haben, gehören zu einer Kollegiumsbildung. Der erste Schritt nach dem Tode i s t , dass wir ein Panaromabewusstsein bekommen und das ganze Leben wie ein Panorama, ohne Urteil vor uns stehen haben. So sollten wir regelmässig auf unsere Taten, unsere Gespräche zurückschauen. Danach kommt das Kamaloka. Jetzt werden unsere Taten gerichtet. Wir sollen auch als Kollegium den Mut haben, selber unsere Taten zu “richten”. In der Sonnensphäre bekommen wir die Möglichkeit, uns vorzubereiten auf unser neues Leben, unsere neuen Aufgaben. Auch als Kollegium muss man sich immer wieder auf seine Aufgaben neu besinnen. Die “Miternachtsstunde” macht uns bewusst, wie weit wir noch vom Endziel entfernt sind und g i b t uns die Kraft, wieder i n eine neue Inkarnation unterzutauchen. All dies können wir üben, wenn wir als Kollegium den Mut haben, uns auf dieser Ebene zu begegnen. Wie im Anfang gesagt, sollen diese Zeilen nur Denkanstösse sein, die jeder f ü r sich weiter ausarbeiten kann. Ich bin aber aus meiner Erfahrung darauf gekommen, dass wir i n der Anthroposophie einen Schlüssel haben, der uns den Zugang aufschliesst zu einer Kollegiumsbildung aus einem neuen, vertieften und erweiterten Bewusstsein. Savigny, Michaeli 1981 H . J . t e n Siethoff