die_prozessorganisation

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DIE PROZESSORGANISATION Zusammenfassende Einleitung Angesichts einerseits die steuernde und bindende Kraft der Ideologien auf gesellschaftliche und organisatorische Prozesse schwindet (es gibt eine Vielfalt an Auffassungen), sowie andererseits die Technik als System OrganisationsprozeSsen einen zunehmend autonomen und repetitiven Charakter verleiht, sieht sich der steuernde Mensch vor die Herausforderung gestellt Umzudenken; sein rein rational geschultes Denken muß sich in ein bewegliches Denken umwandeln, das größere Zusammenhänge erkennt. Ähnliche Veränderungen vollziehen sich in Organisationen. Die rational-funktionale Organisation, innerhalb derer Aufgaben und Strukturen den Menschen Sicherheit boten, wandelt sich in eine Prozeßorganisation, innerhalb derer die Menschen ihre Sicherheit aus einer auf den Kernprozeß ausgerichteten Prozeßverantvvortlichkeit beziehen; das ist der kundenbezogene Prozeß. Dieser grundsätzliche Umschwung im Denken und Organisieren wirft ein neues Licht auf das Problem von Information und Organisation. Information als Spiegel der Wirklichkeit wird ein wesentliches und gestaltendes Element der Prozeßsteuerung. Das Organisieren wird als Abstimmung der Prozeßverantwortlichen untereinander zum wesentlichen dynamischen Bestandteil_ der Prozeßsteuerung. Informationsdenken und Organisationsdenken bzw. -handeln müssen ihre funktionalen Grundlagen verlassen und sich in Richtung Prozeßdenken und Prozeßhandeln entwickeln. Die Rolle der Technik Ein kompakter viereckiger Raum voller Computermonitore. Operators tasten die Bildschirme ständig nach relevanter Prozeßinformation ab und geben ab und zu über den Terminal Prozeßinstruktionen. An der Wand des Kontrollraumes leuchten ab und zu Lämpchen auf. Um den Kontrollraum herum ein Gewirr von Röhren, Kesseln, Tanks, Pumpen, Kompressoren, in denen Öl gekocht, verarbeitet und transportiert wird. Draußen pfeift und zischt es. Der gesamte Prozeß wird Tag und Nacht vollautomatisch gesteuert: Meß- und Regelkunst in Vollendung. 'Niemand rührt noch eine Taste an' - dieses Ideal wird hier Wirklichkeit. Im Kapitel von Smeets sehen wir noch immer den Knopf, mit dem die Käufer auf den Gemüse- und Gartenbauauktionen ihre Partien kaufen. Mit einem Knopfdruck in Bleiswijk kauft man in Rotterdam eine Ladung Tomaten. Exporteure sehen auf den Terminals in ihren eigenen Büros Mengen und Preise vorbeiziehen und steuern mit ihren Kaufinterventionen den Auktionsprozeß. Die automatisierte Informationsverarbeitung hat den Kernprozeß bei Exporteuren und Gemüseauktionen tiefgreifend beeinflußt und verändert. Oder man denke an den Geldautomaten bei der Bank um die Ecke. Nachts um 12 Uhr kann man in aller Ruhe ein paar Hundert Mark abheben und liest es kurz darauf auf dem Kontoauszug. Wie diese Beispiele zeigen, wird unser Leben und unsere Arbeit in zunehmendem Maße von automatisierten Prozessen durchdrungen. Die Kasse am Schalter, die Waschmaschine, der Anrufbeantworter, der PC, die Ampel, die Fahrkarte - wieviele alltägliche Prozesse sind inzwischen nicht schon automatisiert? Die Beispiele geben an, daß die Technik unser organisiertes Zusammenleben und Zusammenarbeiten fest im Griff hat. Betrachten wir die Rolle der Technik beim Aufbau unseres Gemeinwesens noch etwas genauer. Technik beherrscht und steuert die unterschiedlichsten Prozesse. Sie ist zum Kern unserer rational gesteuerten Betriebseinrichtung und Betriebsführung geworden - zum dominanten System des Denkens und Handelns. Dies spiegelt sich im Charakter unserer Organisationssysteme oder - anders ausgedrückt - in der Organisation als System. Technik führte vor allem im Laufe dieses Jahrhunderts zu einer rationalen Betriebsführung, innerhalb derer Manager und Spezialisten die Prozesse zerlegten und als Systemteilchen und -funktionen neu strukturierten. Mit Hilfe der Technik und des damit entwickelten 'Systemdenkens' wurden und werden Prozesse transparent und beherrschbar gemacht. Der französische Soziologe Ellut hat in einer Grundlagenstudie versucht, die Wirkung der Technik als System sichtbar zu machen. Er zeigt, wie die 'Technik als System' ihren Siegeszug in allen Lebensbereichen angetreten hat. Dies hat bewirkt, daß Prozesse immer uniformer werden und folglich schneller ablaufen können. War man etwa nach Italien früher wochenlang mit Pferd und Wagen unterwegs, so fährt man heute (bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 100 km/h) in 16 Stunden nach Rom. Oder wurde früher von einem bestimmten Produkt ein Exemplar am Tag hergestellt, so sind es heute tausend. Diese Prozeßbeschleunigung hatte eine gigantische Zunahme an Produktionsvolumen und Verkehrsdichte zur Folge. Es entsteht heute eine den gesamten Globus umfassende Weltwirtschaft als ein zusammenhängendes System ineinandergreifender ökonomischer Prozesse. Der Preis, den wir für diese Entwicklung bezahlen, ist der Verlust der 'erlebten Erfahrung'. 2 Die Prozesse, innerhalb derer Menschen handeln, werden immer uniformer. Nicht nur der Fließbandarbeiter oder der Verwaltungsangestellte wird mit sich stets wiederholenden, vorgeschriebenen Arbeitsprozessen konfrontiert, auch leitende Manager und Spezialisten funktionieren in von Systemen bestimmten Prozessen. Der Manager eines internationalen Betriebes z.B. lebt ständig in den gleichen Hotelzimmern, führt die gleiche Art Gespräche, fährt mit ähnlichen Taxis, sieht die gleichen Flugzeuge und Holiday Inn Hotels. Er erfährt ständig denselben Prozeß, ohne echte Überraschung oder Lernerfahrung. Wir müssen konstatieren, daß die Technik das Denkeri regelt und die Erfahrung der Menschen unifomiert. Unsere Schlußfolgerung lautet, daß die Technik als System inzwischen die Prozesse in allen Lebensbereichen und auf sämtlichen Funktionsebenen (vom leitenden Managment bis zur Produktionsmitarbeiter) weitgehend beherrscht. Die Technik als System hat auch die Organisation zum System gemacht. Drei Entwicklungen Diese Entwicklung der Technik kann man heute nicht isoliert zu sehen. Sie hängt mit drei anderen Entwicklungen zusammen, die unsere Gesellschaft und unsere Organisationen tiefgreifend verändern. Dabei geht es um: 1. U n t e r g a n g der Ideologien, 2. Internationalisierung der Ökonomie, 3. Bewußtseinswandel des Menschen. 1. U n t e r g a n g der Ideologien Ideologien, die jahrzehntelang des gesellschaftliche Leben beherrschten und regulierten, brechen zusammen. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür ist natürlich die kommunistische Ideologie mit der zentralen Planwirtschaft, die völlig zusammengebrochen ist. Aber auch in der kapitalistischen westlichen Gesellschaft verliert das Dogma zentraler Herrschaft und Planung sowie die hierarchischfunktionale Beherrschung und Kontrolle von Organisationen schnell an Einfluß. Ein gigantischer Konzern, wie Volkswagen etwa, reduziert seine hierarchischen Strukurebenen von neun auf drei, gruppiert seine Aktivitäten um die Kernprozesse herum und integriert seine Zulieferer in den eigenen Prozeß. Volkswagen durchbricht damit radikal die Fordsdie Ideologie, daß man zum optimalen Errei- 3 chen seiner Ziele am besten alles selbst in der Hand behalten kann. Derartige altehrwürdige Organisations- und Managementdogmas schmelzen wie der Schnee vor der Sonne. Die Antwort auf den Untergang der Ideologien und damit auch der Orientierung für die leitenden Personen ist die technische Beherrschung von Prozessen mittels Systemen. War es nicht Watson (ein Spitzenmanager von IBM), der die ganze Welt durch seine EDV-Informationssysteme miteinander verbinden wollte? Die Wirklichkeit ist seinem Ideal schon ein ganzes Stück nähergekommen. 2. Internationalisierung der Wirtschaft Es entsteht eine Weltökonomie, in der Güter, Kapazitäten und Geld grenzenlos zirkulieren. Nationale Grenzen und Identitäten haben keine Chance gegen internationale wirtschaftliche und finanzielle Interessen. Die Technik ermöglicht die Abwägung, Beherrschung und Anregung dieser wirtschaftlichen Internationalisierung. 3. Bewußtseinswandel des Menschen Diese von der Technik mitverursachten, tiefgreifenden Entwicklungen bringen jedoch eine Bewußtseinsveränderung im Menschen in Bewegung. Das rationale, sich auf Logik fundierende Denken, worin Kausalität in Denken und Wahrnehmen sowie die erklärende Analyse die Hauptrolle spielen, stößt angesichts der Dringlichkeit für die Findung neuer Antworten auf komplexe Fragen an seine Grenzen. Es entwickelt sich ein neues Denken, das sich auf 'Unterschiede und Zusammenhänge' basiert. Anstelle des erklärenden und konstruierenden Denkens tritt ein wahrnehmendes, interaktives und vorstellungskräftiges Denken, das mehr nach Entwicklungsmöglichkeiten als nach absoluten Wahrheiten sucht. Auf wissenschaftlichem Gebiet ist die Chaostheorie einer der Repräsentanten dieses neuen Denkens. Was bedeutet dies für das Funktionieren von Organisationen? Im Alltag von Organisationen kommen diese Entwicklungen in einer Verschiebung des Führungskurses des Managements zum Ausdruck: wo man erst von einer rational-funktionalen Betrachtungsweise der Organisationsproblematik ausging, gilt nun für Organisationsfragen ein integraler und interaktiver Prozeßansatz. Die funktionale Vorgehensweise von Organisationen beruht auf der Funktion der Organisation als Ganzes und organisationsintern gesehen auf der Funktion eines Mitarbeiters. Im Vordergrund steht der inhaltliche und fachspezifische Beitrag, den die Organisation für ihren jeweiligen Markt und den darin beschäftigten Menschen liefert. Dem entspricht ein von dieser Funktion bestimmtes und darauf 4 ausgerichtetes Denken: eine Organisation, die Textil herstellt, sieht und behandelt die Welt als eine Gesellschaft von Textilträgern; eine Bank sieht in ihr eine geldverwendende Gemeinschaft. Innerhalb einer Organisation sieht und behandelt die Marketingabteilung und der darin tätige Marketingfachmann die Welt als Marketingproblem. Eine Produktionsabteilung mit einem Produktionsfachmann sieht und behandelt die Welt als Produktionsproblem. Der Prozeßansatz geht in erster Linie von einer Kette von Aktivitäten aus, die zwischen den Organisationen und deren Teilen stattfinden sowie von der Interaktion zwischen' Aktoren in einem gesellschaftlichen Umfeld. Die Prozesse zwischen Kunden und Lieferanten, auf die wiederum andere Prozesse und Aktoren reagieren, sieht man als Interaktionen zwischen Steuerungsleitbildern und den sich daraus ergebenden Steuerungsinterventionen der beteiligten Aktoren an. Die Wirklichkeit wird zwischen verschiedenen Parteien in einem Prozeß geschaffen. In diesem Sinne sind Funktionen zeitlich begrenzte Absprachen über die Gestaltung des Prozesses. Um die Gesamtheit dieser interagierenden Prozesse zu übersehen, müssen die Parteien ein bewegliches Denken und Wahrnehmen entwickeln; also ein Denken und Wahrnehmen in Verschiedenheit sowie in Zusammenhängen, ein umstandsrelatiertes Denken. Der Kernprozeß Aus dem Blickwinkel der funktionalen Bürokratie bestehen Organisationen aus von Mitarbeitern und Managern besetzten Stellen. Funktionen beinhalten Aufgaben, die erledigt werden müssen. Dieses funktionale Bauwerk ist zur Beherrschung der komplexen Aktivitätenzusammenhänge erforderlich. Der Preis jedoch, den wir für diese Organisationsstruktur bezahlen, ist, daß alle Aufmerksamkeit nach innen gelenkt wird. Die internen Zusammenhänge erfordern die volle Aufmerksamkeit. Wo bleibt der Kunde, wo das Bewußtsein für externe Zusammenhänge? Unter dem Einfluß der skizzierten Entwicklungen nimmt die Aufmerksamkeit für die externen Zusammenhänge zu. Manager von Organisationen werden mit tiefgreifenden Einflüssen von außen konfrontiert, die die Steuerung ihrer Organisationen nachhaltig beeinflussen. Die Antwort auf die funktionale Bürokratie ist die schlanke, flexible, lernfähige Organisation, in der die kooperierenden Mitglieder sich auf die Fragen und Bedürfnissen der Kunden einstellen können. Die Konzentration auf den Kernprozeß und den jeweils persönlichen Beitrag dazu muß das Gegengewicht zur starken Konzentration auf die funktionale Struktur und Steuerung von Organisationen bilden. Der Unterschied zwischen 'Funktion' und 'Prozeß' scheint auf den ersten Blick nicht allzu groß zu sein, seine zu erwartenden Auswirkungen auf die Formgebung und das Funktionieren von Organisationen werden jedoch einschneidend sein. 5 In der funktionalen Organisation sind Aufgaben, Verfahren, Strukturen und dgl. für den Sachverlauf ausschlaggebend. In der Prozeßorganisation dagegen sind die Schlüsselbegriffe Kernprozeß, Resultat und Kunde. Die Verantwortlichkeit für die Gesamtheit eines Prozesses, also einschließlich Menschen, Produkte, Geldmittel und Prozeßsteuerung, bringt die Menschen ganz anders mit der Wirklichkeit ihrer Organisation in Kontakt als dies in der funktionalen Organisation der Fall ist. Funktionssteuerung oder Prozeßsteuerung Funktions- oder Prozeßsteuerung kommen den beiden legitimen Bedürfnissen von Führungskräften in Organisationen entgegen, nämlich dem Bedürfnis nach Beherrschbarkeit. Funktionalität und Sicherheit einerseits und dem Bedürfnis nach Entwicklung, Erneuerung und Prozeßorientierung andererseits. Diese zwei Bedürfnisse, die in einem nicht immer spannungsfreien Verhältnis zueinander stehen, manifestieren sich im Management in zwei ausgeprägten Zielvorstellungen: die eine strebt nach mehr Autonomie und weitere Basalisierung von Arbeitsprozessen, ci.h. Arbeitsprozesse mit Hilfe der Technik vom Menschen unabhängig zu machen; die andere strebt ein Verstärken der persönlichen Prozeßverantwortung für die Erneuerung der Arbeit und des Arbeitsprozesses durch Förderung persönlicher Initiative an. Prozeßbeherrschung Prozesse mittels Technik autonom gestalten autonome Gestaltung von Arbeitsprozessen Mechanisierung und Automatisierung von Arbeitsprozessen systematisierte Dienstleistung mit feststehendem Output und Prozeßverlauf professionelle Standards und feste Rahmenbedingungen repetitive, feststehende Entscheidungsprozesse. 6 Prozeßentwicklung Personifizierung des Prozesses durch Initiativkraft des Einzelnen persönliche Verantwortung für Arbeitsergebnis und Arbeitsprozeß persönliche Initiativen zur Erneuerung des Produktund Arbeitsprozesses kundenorientierte, flexible Arbeitsprozesse individuelles Profil und differenziertes Vorgehen situatives Beschließen und Handeln, variable Behandlung von Problemen. Die Resultate dieser zwei Ziele sind: Autonom gesteuerte Systeme • • • • Die einseitige Grenzen. Nic Organisation die im Sinne sen und Res Gleichgewich Verselbststän Zielsetzung u Dieses Gleic zusammenar Proze ßinform Über Prozeßi auch wenn w Im vorigen w Funktion von Managment Standardprozesse als Funktionen mit vorhersehbarem Verlauf im Rahmen autonomer Strukturen und AUnktionen festge egte Sprache und Begriffe inhaltli he festgelegte Systeme, Verfahren und Methoden mit unifor e r Steuerung. weitgehende funktionale Systematisierung der Arbeit stößt an ihre t nur eine vollkommen durchorganisierte und systematisierte ann erfolgreich operieren. Es sind namentlich die Menschen selbst, emeinsamer Zielsetzungen Entscheidungen treffen, die zu Prozes- 'taten führen. Dies unterstreicht die Notwendigkeit eines s zwischen Funktion und Prozeß, zwischen dem Autonomie- und igungsgrad von Funktionen sowie dem Integrationsgrad von d Prozeß im größeren Rahmen. gewicht ist erreichbar, weil Menschen miteinander eiten wollen. Zur Realisierung dieser Zusammenarbeit sind außer tionen auch funktionale Informationen erforderlich. formationen erfahren wir ständig mehr über 'Prozeßwirklichkeiten', r diese nicht aus eigener Erfahrung kennen. rde die entscheidende Rolle der Technik bei der 'Konstruktion und Organisationen dargestellt. Wie wir sahen, sieht sich das on Organisationen immer wieder vor die Wahl gestellt, mit Hilfe der 7 Persönlich gesteuerte Prozesse flexible, bewegliche Prozesse mit offenem Ende eingegliedert in Netzwerke interaktiv, auf Unterschiede aufgebaut personengebundene Entscheidungen und Verantwortlichkeiten. Technik autonome Systeme zu schaffen, oder Prozesse an Einzelpersonen zu koppeln, die sie steuern und vollziehen. Anhand einer Fallstudie soll nun gezeigt werden, wie eine Prozeßorganisation aus einem strategischen Erneuerungsprozeß entsteht als Antwort auf die Einseitigkeit der funktionalen Organisationstruktur. Diese Prozeßorganisation soll anhand von neun Themen charakterisiert werden. Fallstudie: Situation Eine Kreissparkasse in Deutschland mit 1500 Angestellten. Sie bietet Betrieben und Privatpersonen in einer Region im Gebiet im Westen Deutschlands alle Bankdienstleistungen an. Bis vor kurzem operierte diese Bank folgendermaßen: Die 70 örtlichen Geschäftsstellen waren 'Absatzpunkte' mit eigenen Verkäufern. Diese hatten die primäre Aufgabe, durch den Verkauf zentral entwickelter Bankprodukte wie Sparkonten und Kredite Umsatz zu erzielen und dabei die zentral entwickelten Verfahren und Systeme einzusetzen. Eine Vielzahl zentraler Stabsabteilungen (Kontrolle, EDV, Marketing, Werbung, Personal, Organisation, Ausbildung, etc.) mit hochgeschätzten und gutbezahlten Spezialisten erdachten neue Produkte, Kampagnen, Verfahren und Systeme und führten sie ein. Ihre Arbeitsprozesse waren eng verknüpft (jedes neue Produkt erfordert neue Systeme, Verfahren, Kontrolle etc.) und sie orientieren sich vor allem an den Entscheidungsprozessen im Vorstand. Das Geschäftsführungsteam als alleiniger Verantwortlicher saß mehr als 12 Stunden täglich im Büro und regelte den besonders lebhaften Geschäftsverkehr. Wichtige Kunden, Geschäftsführungskollegen. Mitarbeiter und Politiker nahmen Aufmerksamkeit und Arbeitszeit in Anspruch. Täglich wurde eine Vielzahl von Problemen gelöst und eine Vielzahl von Entscheidungen getroffen. Der Umsatz wurde vom Kunden 'geliefert', die traditionelle regionale Bindung zwischen Bank und Kunden sorgten bis heute für eine starke Marktposition. Die Notwendigkeit einer Umstellung dieser Bank ergab sich aus der jährlich fortschreitenden Verschlechterung der Gewinn - u n d V e r m ö g e n s l a g e . D e r selbstverständliche Spielraum zwischen 'Passiv-' und 'Aktivgeschäft' wurde kleiner, die Kosten stiegen weiter und Gegenmaßnahmen hatten wenig Erfolg. Ein 8 funktionaler Ansatz half hier nicht mehr; man entschied sich für einen Prozeßansatz. Die wichtigsten Veränderungen, die in den letzten drei Jahren eingeleitet wurden und in den kommenden 5 bis 10 Jahren ihre Früchte abwerfen sollen, werden im folgenden in neun Themen zusammengefaßt. 1. V o n Produkt und Funktion zu Kunde und Prozeß Aus der Priorität im Hinblick auf die Entwicklung neuer Produkte in der funktionalen Organisation, die für die Kunden Umsatz und Gewinne garantieren sollten, verlagerte sich der Schwerpunkt in der Prozeßorganisation auf den Kemproze ß des Kunden und die Art und Weise, wie das eigene Produkt diesem Prozeß gerecht wird. Die Frage: 'Was ist eigentlich unser Kemproze ß?' wirkt polarisierend beim Management. In der Praxis haben die Manager einer Organisation sehr unterschiedliche Standpunkte in dieser Frage. Die funktionalen Kader von Organisationen und die darin operierenden Fachrichtungen bewirken ein breites Spektrum an Auffassungen zur Frage, was denn nun eigentlich der Kernprozeß der Organisation sei. Jeder hat seine eigene fachspezifisch gefärbte Antwort darauf. Im erwähnten Beispiel der Sparkasse wurde als Kernprozeß 'der Abschluß eines Vertrages mit dem Kunden' definiert; dabei sind drei verschiedene Prozeßvarianten zu unterscheiden: 1. D e r Konsumentenproze ß: Dies sind die Vorgehensschritte für alle Privatkunden, die einfache Sparverträge und Kredite wünschen: 2. D e r Firmenproze ß: Dies sind die Vorgehensschritte für Organisationen und Betriebsmanager, die Firmeninvestitionen finanzieren wollen; 3. D e r Kapitalkundenproze ß: Dies sind die Vorgehensschritte, mit denen die Bank das Vermögen des Kunden verwaltet und zusammen mit dem Kunden anlegt und gewinnträchtig macht. Diese drei Kernprozeßvarianten der Bank verlangen völlig verschiedene Systeme, Dienstleistungskonzepte, Verwaltungsverfahren, Verarbeitungstechniken, Kontrollmethoden usw. 9 Typisch für den Konsumentenprozeß sind: - Standardprodukte - transparente, einfache Verarbeitung - Massenabfertigung - Technik steht im Vordergrund und dominiert den Prozeß. Beim Firmenprozeß geht es um: - differenzierte Finanzierungsbedingungen - Verhandeln über Bedingungen - kundenspezifische Verarbeitung - Zusammenarbeit mit dem Kunden, hausinterne Dienstleistung. Die Bank arbeitet im Hause des Kunden. Beim Kapitalkundenprozeß geht es um - ständige Kommunikation und Beratung - persönliche Beratungsbeziehung - breites Angebot an Möglichkeiten/Netzwerken für die Kapitalanlage und für finanzielle Transaktionen. Dieser Bewußtseinswandel in der Betriebsführung und die sich daraus ergebende radikale Veränderung des Betriebsaufbaus wird in dem Buch 'The maschine that changed the world' besonders anschaulich illustriert. Dort wird der Begriff 'lean production* eingeführt. Lean-production bedeutet dabei nicht eine primär rationellere und effizientere, sondern eine gänzlich andere Produktionsweise. Zentral beim Aufbau und der Steuerung einer Organisation steht eine auf die Bedürfnisse des Kunden abgestimmte Produktion. Die acht anderen Punkte zeigen die Konsequenzen dieser veränderten Prioritäten bei der Betriebsführung. 2. K o n z e n t r a t i o n auf den Kernprozeß Bei der Prozeßorganisation stellt das Managment ständig die Entscheidungsfragen: “Was gehört zu unserem Kernprozeß und was nicht?” und “Was tun wir selbst, was überlassen wir anderen” und “Was tun wir nicht mehr?”. Diese Art von Fragen beweisen ein wirklich ökonomisches Orientiert-Sein des Managments auf die Organisation. Für sie ist es dabei ein wesentlicher Punkt die Analyse der Frage, in welche ökonomischen Ketten (Lieferant-Kundenketten) der Kernprozeß des Unternehmens integriert ist. “Sind die Grenzen innerhalb dieser 1 0 Ketten klar abgesteckt und aufeinander abgestimmt?” Dies ist eine wichtige Frage zur Steuerung der Zusammenarbeit zwischen Lieferanten und Kunden. Diese Orientierung an ökonomischen Ketten durchbricht die in der funktionalen Organisation vorherrschende Fixierung auf die Konkurrenten. “In welchen ökonomischen Ketten befinden sich meine Konkurrenten, wie haben sie sich darin verankert und wie kann unser Unternehmen darin eine Rolle spielen?” - so lauten wichtige Sondierungsf ragen für das Management der Prozeßorganisation. Die Sondierungsfrage: “Was sollten wir nicht mehr tun?” bringt das Problem der Begrenzung bzw. Gr'enzverlegung eines Unternehmens in Bewegung. Im Fallbeispiel der erwähnten Bank stiftete diese Frage in erster Linie Verwirrung. So wurde dort z.B. mehr als eine Million DM pro Jahr für große Mengen an Werbegeschenken wie Kalender, Bleistifte und dgl. ausgegeben die massal Absatz fanden. Ob diese Geschenke jedoch dem Kernprozeß einen Mehrwert erbrachten, blieb fraglich. “Macht es noch Sinn, oder ist es zur reinen Routine geworden?” lautete die Prüfungsfrage. Resultat: das Managment strich einen Großteil dieser Kosten. Diese Einsicht brachte beim Managment eine Bewußtseinsentwicklung in Bewegung, um zu unterscheiden zwischen dem, was wirklich von Bedeutung war, und dem, was man besser anderen überlassen konnte. Viele Prozesse in der Bank, die aus historischen Gründen unverändert abliefen (im Sinne des Ford'schen 'wir machen lieber alles selbst') und nicht direkt zum Kernprozeß gehörten, wurden als uninteressanter Ballast behandelt. Niemand in der Bank - interessierte sich z.B. wirklich für die eigene Kantine, die technische Verarbeitung von Transaktionen oder die Verwaltung der Gebäude usw. Ist es dann nicht sinnvoller, allerlei Neben- bzw. Stützprozesse externen Lieferanten zu übertragen, für die dies Kernprozesse sind? Diese Entwicklung wird schlußendlich dazu führen, daß Organisationen mehr in andere Organisationen involviert werden. So übernehmen Banken Geldprozesse in industriellen Unternehmen. Kantinenbetreiber verwalten die Kantinen in den Banken. Verwaltungsbüros versorgen das Rechnungswesen in Unternehmen. Beratungsbüros betreuen professionelle Lernprozesse in Kundenorganisationen. Es entwickelt sich also eine weitere Intensivierung der Wirtschaftskette, in der die Organisationen ihren eigenen Kernprozeß einbringen und in den Prozessen ihrer Nachbarn verankern. 3. Te rmi n g e r e c h t Funktionale Organisationen werden manchmal unter ihren eigenen Vorräten begraben. In allen Phasen und Funktionen des Kernprozesses stapeln sich Produkte und Werkstoffe, da der Ansatz rein funktionsorientiert ist. Die 1 1 Aufmerksamkeit ist vor allem auf die reibungslose Durchführung des eigenen Beitrags ausgerichtet. Welche Belastung dies im weiteren Verlauf des Prozesses verursacht, wird nicht wahrgenommen. Dieses Phänomen trifft auch auf Besprechungen und Entscheidungsprozesse zu, in denen bestimmte Themen ständig wieder auf der Tagesordnung erscheinen, um wiederum nicht abgehandelt zu werden, da man zuviel gleichzeitig unter Händen hat. Eine Vielzahl an Entscheidungen, die eine Vielzahl an Informationsübermittlung, Gesprächen und Rücksprachen erforderlich machen, führen zu einer Vielzahl unerledigter Probleme und Themen, die demzufolge wiederum unbearbeitet bleiben. Auch für Sitzungen, Aktionen und Projektvorhaben gilt dieselbe Frage wie für den Werkstoffvorrat: “Wann machen wir was und wann nicht?”. Auch in der Bank gab es überall Nischen, in denen sich die Arbeitsvorräte infolge zahlreicher unkoordinierter und autonom ablaufender nicht aufeinander abgestimmter Arbeitsprozesse stapelten. Nur ein Bruchteil aller Arbeitsleistungen gelangte in den wirklichen Kernprozeß der Bank, d.h. beim Kunden und den mit ihm verbundenen Geldflüssen. 4. S t r a t e g i s c h e Geschäftsführung mit Leitprinzipien und Vision In der funktionalen Organisation wird viel über Leitprinzipien und Ziele geredet, doch kaum damit gearbeitet. Das Entwickeln von Leitprinzipien und Visionen wird als separater Organisationsprozeß von Experten vorbereitet und gesteuert. Anschließend verbindet das Management damit seine Planung und Budgetierung. Diese Pläne und Etats sind auf Aktivitäten ausgerichtet, die im funktionalen Rahmen angesiedelt sind. Die betriebswirtschaftlichen Aspekte jedoch durchqueren diese laufend und haben keinen Anschluß an die funktional formulierten Leitprinzipien, Visionen, Pläne und Etats. So werden in der Bank in Deutschland jährlich Zielvereinbarungen und geschäftspolitische Maßnahmen formuliert, die jedoch auf den tatsächlichen Geschäftsverlauf kaum Einfluß hatten, da sie im Grunde auch keinen Bezug dazu hatten. Das größte Handicap war das Nicht-Vorhandensein von Prozeßträgern, die mit diesen Zielvorgaben und Leitprinzipien arbeiten konnten. Im Grunde sind Zielvorgabe und Leitprinzipien Angelegenheiten, die im Inneren der Menschen als konkrete Vornehmen und Grundhaltungen verankert sein müssen, wenn sie im Handeln zum Ausdruck kommen sollen. Da keine Träger vorhanden waren, da sie weder mit den Zielvorgaben noch der Firmenpolitik verknüpft waren, konnten sie ein Abstraktum bleiben. Prozeßziele dagegen können nur dann wirksam werden, 12 wenn sie aus lebendigen Vorstellungen heraus formuliert werden, die Menschen vor Augen haben, die im Arbeitsprozeß von und mit dem Kunden stehen. Bei der Bank in Deutschland wurden die Leitprinzipien und die Firmenpolitik praktikabler, als die jährlichen Vereinbarungen über konkrete und realistische Ergebnisvorgaben in bezug auf die Kunden und die Aktivitäten zur hausinternen Steuerung zwischen den Managern und den Mitarbeitern in Vertragsform festgelegt wurden. Im Laufe des Jahres wurden anhand der konkreten Ergebnisse die Ziele und Ausgangspunkte miteinander besprochen und gegebenenfalls angepaßt. 5. E i n e Prozeßorganisation ist eine flache Organisationen mit dreierlei Verantwortungsebenen Menschen arbeiten im Kernprozeß, in kernprozeßunterstützenden Prozessen, oder in Management-Führungsprozessen. Management-Führungsprozeß Kernprozeß K u n d e Unterstützender Prozeß Die drei Beitragsformen sind nicht hierarchisch geordnet, sondern mehr in der Form von Netzwerkorganisationen miteinander verbunden. Die über feststehende hierarchisch funktionale Linien verlaufende Beschlußfassung in funktionalen Organisationen wird in Prozeßorganisationen zu einer sog. Mandatstruktur. In der Mandatstruktur arbeiten Menschen, denen die Verantwortung für einen gesamten Arbeitsprozeß obliegt, d.h. einem Prozeß vom ersten Beginn bis zum letzten Ende einschließlich inhaltlicher, finanzieller und personaler Veranwortlichkeiten und Befugnisse. Sie werden von beauftragten Managern unterstützt, die diese Entscheidungsprozesse steuern. Man unterscheidet zwischen den Entscheidungsprozessen hinsichtlich Finanz-, Personal-, Kunden- und Organisationsprozessen. In unserem Bankbeispiel wurde ein Ansatz in dieser Richtung gegeben, indem den funktional verantwortlichen Managern (Verkaufsleiter und Hauptabteilungsleiter) auch die persönliche Verantwortung für die Führung und Realisierung von tiefgreifenden Veränderungsprozessen in der Bank übertragen wurde. Beispielsweise für Prozesse wie das Entwickeln einer neuen Art und Weise, wie 13 an die Kunden herangetreten werden soll, die Lenkung des Geldflusses, das Entwickeln einer anderen Besoldungsstruktur usw. werden als tiefgreifende Veränderungsprozesse geleitet und begleitet von nicht fachlich vorbelasteten Managern. Diese haben normalerweise eine völlig andere funktionale Verantwortung als, die, die der Erneuerungsprozeß von ihnen fordert. Da die Erneuerungsprozesse von Managern gesteuert werden, die für diese Fragen offenstehen, entwickelt sich in der Bank ein völlig neues Bewußtsein über den Verlauf von Prozessen und was Prozeßsteuerung beinhalten kann. Dieses andere Bewußtsein für Prozeßsteuerung bildet die Grundlage für ein gänzlich neuartiges Steuerungskonzept für diese Organisation, als das, was im zentralen hierarchischen Konzept üblich ist. So prüft man nun in einem zentralen Lenkungsausschuß, in dem alle prozeßverantwortlichen Manager sitzen, die Prozeß- und Steuerungsmandate und weist sie zu. In ihm werden Entscheidungen vorbereitet, getroffen und überprüft. Dieser Lenkungsausschuß ist eine Art Abstimmungsorgan, in dem alle Beauftragten ihren Prozeß aufeinander abstimmen. Hierdurch entsteht die Möglichkeit, eine harmonische Entscheidungsfindung für wesentliche Themen zu erlangen. Die wichtigsten, permanenten Erneuerungsthemen dieser Bank: Kapitalverkehr, Kundenprozeß, Personal und Entwicklung, Information und Kommunikation, Managementinstrumente, Unternehmensphilosophie und externes Unternehmensbild werden darin erörtert und aufeinander abgestimmt. Auch die Prozeßinterventionen der Prozeßmanager können in diesem Ausschuß miteinander abgestimmt und gefördert werden. 6. Expertenbeiträge bekommen anderen Stellenwert Prozesse in Organisationen werden von Fachleuten gestaltet, organisiert und beherrscht. Da Experten aufgrund ihrer fachspezifischen Standpunkte und ihres Wissens viel Spielraum haben (der Respekt vor Fachwissen ist groß) schaffen sie im großen Maßstab Systeme und Methoden für andere, die dann damit arbeiten müssen. Der Arbeitsprozeß bekommt die Dynamik und Form, die nach Ansicht der dominierenden Sachverständigen notwendig ist. In der Bank war dies der Reihenfolge nach: Finanzkontrolle, Organisationsabteilung, Marketingabteilung und als letztes der Controller die angaben, wie der Kernprozeß zu verlaufen hatte. Erst mußte aus finanzieller Sicht alles dreifach gesichert sein, dann mußten alle Arbeitsprozeduren und Systeme effizient organsiert sein, dann alle Produkte intensiv beim Kunden abgesetzt werden und ganz am Ende mußte jeder seinen sinnigen oder unsinnigen Beitrag im Bankprozeß verantworten können. 14 Die Bedeutung und der Einfluß von Fachleuten ist in der funktionalen Organisation groß, er wird jedoch abgebaut, wenn das Prozeßorganisationsdenken ansetzt. In der Prozeßorganisation richtet sich die Aufmerksamkeit des Managements mehr auf das, was sich zwischen den Abteilungen im Kernprozeß abspielt, und nicht so sehr auf das, was in den Abteilungen selbst geschieht. Experten werden gebeten, ihren Beitrag den einzelne Phasen im Kernprozeß anzupassen. Es entwickelt sich somit ein anderes Konzept über die einzelnen als sinnvoll zu beurteilenden Fachgebiete. So erkannte man in'cler Bank drei wesentliche, für den Kernprozeß der Bankorganisationen wichtige Expertenbeiträge. Der erste Expertenbeitrag richtet sich auf den Kunden-Marketingprozeß. Darin steht die Frage zentral: Wie läßt sich der eigene Kernprozeß möglichst gut auf den Kundenkernprozeß abstimmen, und wie kann der eigene Kernprozeß so organisiert werden, daß die Wünsche des Kunde honoriert werden, ohne die eigenen Belange aus dem Auge zu verlieren. Im Falle dieser Bank heißt das, daß das einzelne Fachdenken der Marketingexperten, Werbe-, Organisations- und EDV-Sachverständigen in ein den Kunden und den Kernprozeß unterstützendes Denken integriert werden muß. Der zweite Expertenbeitrag dient der finanziellen Transparenz. Arbeitsprozesse spiegeln sich in Geldflüssen. Jede Transaktion und jede Aktion bringt Geldströme in Bewegung und diese Geldströme sind die Anknüpfungspunkte für die finanzielle Kontrolle. Controlling als Spiegel zur Überwachen der Zielrealisierung zu vertretbaren Kosten, wird von Experten als System eingerichtet und entwickelt. Es unterstützt die Menschen im Kernprozeß, im Konzentrieren auf diesen Prozeß und gibt ihnen Sicht auf das Maß, in dem das Ziel verwirklicht wurde. Der d r i t t e . E x p e r t e n b e i t r a g b e t r i f f t d i e B e a c h t u n g d e s M e n s c h e n i m K e r n p Die Menschen sind heutzutage für viele Manager das wichtigste “Kapital” einer Organisation. Schließlich sind die Mitarbeiter die Träger für die Entwicklung und Erneuerung des Unternehmens. Die Beachtung des Menschen in seiner Arbeit erfordert besondere Aufmerksamkeit. Das Ausbilden, das Begleiten und das Fördern von Menschen im Arbeitsprozeß macht integrale, auf den gesamten Menschen abgestimmte Konzepte und Methoden notwendig. Es gibt folglich drei den Kernprozeß unterstützende Expertenprozesse: Marktunterstützung, finanzielle Transparenz, Personalentwicklung. 15 Experten stehen vor der Aufgabe, in einem der drei Expertenprozesse integriertes Denken und Handeln zu lernen. Der Kernprozeß ist für alles die Grundlage und der Verankerungsbereich. In der Bank in Deutschland zeigte sich, wie hartnäckig das auf eine Funktion ausgerichtete Denken der leitenden Angestellten bzw. Führungskräfte ist. Die Menschen im Kernprozeß werden von ihnen kaum fähig geachtet, um selbständig eine Erneuerung dieses Prozesses zu bedenken und zu verwirklichen. Natürlich stimmt dies zum Teil. Der Mitarbeiter im Kernprozeß ist auf den Kunden, auf das Produkt und den Arbeitsprozeß ausgerichtet und weniger auf Effektivität und Qualität der eigenen Aufgabe und des eigenen Funktionierens innerhalb dieser. Ein erster Schritt für die Umwandlung von einseitigem Fachdenken brachte eine intensive Zusammenarbeit der Experten hervor, die ein gemeinsames Problem im Kernprozeß der Bank zum Thema hatten. So wurden beispielsweise bei der Entwicklung eines neuen Markt- und Vertriebskonzeptes die marktunterstützenden ebenso wie die Finanz- und Personalexperten in eine integrale Zusammenarbeit eingebunden, die eine Unterstützung der Erneuerung im Kernprozeß bezweckte. 7. N e t z w e r k Funktionale Organisationen kennen feste, formale, hierarchisch organisierte Netzwerke aus zusammenarbeitenden Menschen. Prozeßorganisationen dagegen kennen variable, auf den Kernprozeß ausgerichtete Netzwerke aus zusammenarbeitenden Menschen mit unterschiedlichen, doch auf den Kernprozeß bezogenen Einfallswinkeln. Netzwerk ist in der Prozeßorganisation ein Tätigkeitswort. Menschen funktionieren in einer Prozeßorganisation, weil sie miteinander netzwerken: Kunden- und Lieferantennetzwerke, Kernprozeß- und Stützprozeßnetzwerke, wirtschaftliche Netzwerke, Projektnetzwerke, selbst Netzwerke unterschiedlicher Signatur operieren in der Prozeßorganisation. Beim Netzwerken werden die eigenen Prozesses auf die anderen Prozesses abgestimmt. Vor allem wegen der starken Ausrichtung auf den Kernprozeß und das wache Bewußtsein in bezug auf die Begrenztheit des eigenen Beitrags, können Netzwerke zentriert und dennoch offen funktionieren. Man verwickelt nicht die Komplexität der Vernetzung und Querverbindungen, die notwendigerweise in den funktionalen Organisationen gelegt werden müssen. In der Sparkasse in Deutschland zeigte sich, daß die funktionale Organisationsstruktur zu einem absoluten Kommunikationsmangel zwischen den Mitarbeitern im Kernprozeß und den Angestellten im Stab führte. Der Stab war stark inhaltlich und fachspezifisch ausgerichtet und begriff deswegen die Menschen im Kernprozeß nicht. Infolgedessen fehlte der wechselseitige 16 Austausch über den laufenden Kernprozeß. Die Stabmitarbeiter arbeiteten in eigenen Büros und schickten sich ständig Nachrichten hin und her. Durch das Netzwerken in der Bank wurden völlig neue Querverbindungen zwischen Menschen hergestellt. Man nahm am Prozeß des anderen teil und partizipierte darin zielbewußt, sobald dies für die Realisierung der Zielsetzung notwendig war und einen Mehrwert brachte. Die anfängliche Angst bei vielen, daß dies zu einem Chaos führen würde, und die Angst, die eigenen funktionalen Sicherheiten und festen Kommunikationsmuster zu verlieren, waren in dem Moment größtenteils' verschwunden, als die Führungskräfte und Angestellten zur ihrer Überraschung bemerkten, wie die Zweckorientierung und Intensität der Zusammenarbeit zunahmen. Nicht wegen der formellen, auch nicht wegen der funktionalen, sondern vor allem aufgrund der Prozeßkontakte, entwickelten Menschen Interesse für Aufgaben in den Kernprozessen der Bank. Netzwerken bedeutet auch eine beachtliche Reduzierung der formellen Ausschüsse, Projektgruppen, Arbeitskreise und Lenkungsausschüsse, die alle so typischen sind für funktionale Organisationen. Wechselseitige Belange gekoppelt mit einem Win-win-Vertrag führten beim Netzwerken zu einer lukrative Zusammenarbeit in der Prozeßorganisation. Auch bei dieser Erneuerung kommt es vor allem auf die Entwicklung der Fähigkeit zum Netzwerken bei den Führungskräften an. Es gibt in einer Organisation immer Führungskräfte, die dies schon jahrelang praktizierten und die die Motivatoren für die Umwandlung der Organisation in eine Prozeßorganisation werden können. 8. L o s k o p p l u n g vom Ausbildungsgrad - Funktionsniveau und Besoldung In der funktionalen Organisation sind diese drei: Ausbildung - Funktion - Besoldung stark miteinander verbunden. Hoch Funktion Ausbildung Besoldung Niedrig Es sind die Stützen der hierarchischen, funktionalen Organisation, die Anker des soliden Arbeitssystems. Durch die Aufmerksamkeit für den Kernprozeß der Organisationen und die darin tätigen Menschen, wird dieses eiserne Dreieck ins Wanken gebracht. Der Ausgangspunkt, daß Kernprozeßmitarbeiter in funktionalen Organisationen im Verhältnis zu den Stabexperten niedriger besoldet werden, wird 17 untergraben. In der Bankorganisation aus unserer Fallstudie werden die Angestellten am Markt, in den sog. Geschäftsstellen, niedriger honoriert und geachtet als die Fachleute in der Hauptgeschäftsstelle. Ein Besoldungs- und Bewertungssystem, das Kundenverantwortlichkeit, Beiträge zum Kernprozeß und Ergebnisverantwortung (den Mehrwert) honoriert, erfordert einen völlig anderen Ansatz als die funktionale pyramidiale Ausbildungs-Funktions- Besoldung. Die Vergütung wird in der Prozeßorganisation zum Teil gekoppelt an den Beitrag am Kernprozeßmehrwert, den einzelne wirtschaftliche Einheiten liefern. Die Bewertung dieser Mehrwerte erfordert eine finanzielle Transparenz der Prozesse und Resultate. Dabei kann eine deutliche Einsicht jeder einzelnen Einheit in den eigenen Deckungsbeitrag zum Geschäftsergebnis zur Steuerung des eigenen Arbeitsprozesses behilflich sein. In der deutschen Bankorganisation wird ein Besoldungskonzept entwickelt, das sich aus vier Elementen zusammensetzt. Zuerst die Funktionsgebundenheit. Die umfangreiche Funktionshierarchie muß auf einzelne, klar erkennbare Verantwortlichkeitsebenen (siehe Punkt 5) reduziert werden. Zusätzlich zur Funktionsbesoldung gibt es die Kategorie “funktionsgebundene Vergünstigungen” die z.B. einen Firmenwagen, ein -telefon oder bestimmte Vergütungen für besondere Funktionsaspekte beinhalten. Als dritte Kategorie gilt die Gewinnzunahme im Deckungsbeitrag des eigenen Teams. In der Bank werden Teams geformt, die als selbständige wirtschaftliche Einheiten funktionieren und die ein eigenes Deckungsbeitragskonto haben. Von der Zunahme am Eigenbeitrag vom Geschäftsergebnis wird den Mitarbeitern ein fester Prozentsatz zugewiesen, den der Teamleiter unter den Teammitgliedern (in Rücksprache mit seinem Chef) verteilt. Eine vierte Kategorie ist die Unternehmensprämie, die diejenigen Mitarbeiter erhalten, die eine für das Unternehmen wesentliche Erneuerung realisiert haben. Der Vorstand bzw. die Geschäftsführung beurteilen die Vorschläge der Betriebsleiter und Abteilungschefs und bewerten diese. Schematisch: Untenrehmensbonus Deckungsbeitrag am Gewinnwachstum Funktionsvergünstigungen Funktion 18 9. E n t w i c k l u n g von Kernkompetenzen Um alles, was oben dargelegt wurde, realisieren zu können, müssen die Menschen entsprechende Fähigkeiten entwickeln und diese einsetzen. Konzentrierung auf den Kernprozeß erfordert auch eine Konzentrierung auf die Entwicklung der Kernkompetenzen bei den Menschen, die daran arbeiten. Die Entwicklung von Kernkompetenzen wird eine wichtige Investitionsfrage. Es wird nun möglich, sich von der Konkurrenz zu unterscheiden, da der Kunde die besonderen Fähigkeiten, die die Mitarbeiter im Kernprozeß zeigten, bemerkt. In der Bank konzentrierte man sich davor vor allem auf allerlei fachliche Fähigkeiten. Jeder Mitarbeiter besuchte Fortbildungskurse im eigenen Fachbereich. Doch fundamentale Bankiersfähigkeiten wurden überhaupt nicht oder kaum entwickelt.- Durch die Art und Weise, wie das komplexe System und die Arbeitsprozeduren eingerichtet waren, durch die erschwerenden Vorschriften und die Vielzahl unterschiedlicher Expertenmeinungen, wurde der Fähigkeit 'Bankieren' überhaupt keine Aufmerksamkeit geschenkt. In unserem Beispiel der deutschen Sparkasse werden Lernprozesse nun weitaus mehr an jene konkreten Herausforderungen gekoppelt, die von den Mitarbeitern aus dem Kernprozeß stammen. Mit solchen Projektvorhaben wurden die Führungskräfte und Angestellte herausgefordert, sich auf die Qualität ihres fachlichen Könnens zu besinnen. Der Kunde zeigte sich als ein äußerst zuverlässiger Lehrmeister. Denn er ist es ja, der direkt im Prozeß steht, zu dem die Bank als Lieferant beitragen will. Der Kunde lehrt den Bankangestellten, worauf sie achten müssen, er lehrt ihnen, welche neuen Fragen entstehen und zeigt dem Bankangestellten, welche Auswirkungen seine Intervention im Kundenprozeß hat. Zum Abschluß Wir haben nun neun Aspekte angesprochen, die zusammen die Entwicklung der Prozeßorganisation charakterisieren. Diese Entwicklungstendenzen werden auf die Dauer dazu führen, daß das Management ihrer Organisation seine Führungskraft auf wesentliche Werte basieren wird, die den Kernprozeß der Organisation berühren. Allerlei andere damit zusammenhängende Prozesse und Notwendigkeiten werden von den mit der Organisation verbundenen “Lieferanten” übernommen. Die Organisation-Strukturierung verlegt ihre Verankerung vom Funktionalen zur Prozeßorientierung. Einen Bankdirektor wurde die Frage vorgelegt: “Wie verläuft faktisch der Prozeß, wenn ein Kunde in einer der Niederlassungen um DM 250.000,- für die 19 Finanzierung eines Hauses bittet?”. Bei der Beantwortung dieser Frage wurde ihm klar, daß er sich in den dreißig Jahren als Direktor noch nie den tatsächlichen Prozeßverlauf bewußt gemacht hat. Was nun die alltäglichen Aufgaben wie die Aufarbeitung von Sitzungen, das Treffen von Entscheidungen, das Durchführen von Organisationsveränderungen, das Besuchen der Kunden usw. mit dem Kernprozeß zu tun hatten, wurde für ihn ein höchst interessanter Suchweg. Seine Schlußfolgerung war, daß erst aufgrund einer wirklichen Einsicht in den Sachverlauf im Kernprozß fundierte Entscheidungen über Veränderungen und Erneuerungen im Bankorganismus getroffen werden können. Das Abstimmen von Organisation und Informationswege auf dieses Führungsprinzip wird eine Aufgabe, die sich der prozeßorientierte Manager stellen soll. Organisations- und EDV-Fachleute können hierhin einen förderlichen Beitrag leisten, wenn sie bereit sind, ihre Vorgehensweisen und Modelle neu zu bewerten. Von funktionalem hin zu prozeßgerichtetem Ansatz gilt auch für sie. Quellenverzeichnis Bekman, A.A.M. (1992), Organisatieontwikkeling als managementopgave, Utrecht, Lemma S. 138; Senge, P.M. (1992), De vijfde discipline, Schiedem, Scriptum Books, S. 399: Womack, JR., D.T. Jones, D. Roos und D. Sammons Carpenter (1990), The machine that changed the world. The story of lean production, New York, Rawson Associates, S. 323. 20

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